Es gab nun hunderte Stilrichtungen des Kenjutsu in der japanischen Budo-Geschichte. Auch heute werden manche Stilrichtungen weiter geübt oder sogar weiterentwickelt, und manchmal werden auch neue Stilrichtungen kreiert. Aus dieser Vielfalt nehmen wir also eine Stilrichtung besonders heraus, die Ittoryu genannt wird. Der Grund ist nicht nur, dass dieser Stil eine sehr renommierte Schule und eine der beiden Hauptschulen war, von denen in der Ära des Tokugawa-Shogunats (1603 – 1867), mindestens in deren ersten Hälfte, die Schwertmeister des jeweiligen Shoguns (Oberster Samurai-Herrscher) empfohlen wurden, sondern auch deswegen, weil Sokaku Takeda, der Großmeister des Daitoryu Aiki Jujutsu und der maßgebliche Lehrer des Aikido-Begründers Morihei Uéshiba, Ittoryu intensiv trainiert hat und dessen Bewegung und Haltung einen großen Einfluss auf Daitoryu und folglich auch auf Aikido ausgeübt haben. Denn wir wollen wie Morihei Uéshiba den Weg des Friedens verfolgen, unabhängig davon, ob man Aikido trainiert oder nicht.
Ittoryu wurde wie oben erwähnt von Ittosai Kagehisa Ito (16. – 17. Jh.) begründet und von seinem besten Schüler Tadaaki Jiroémon Ono weitergetragen. Alle heute bekannten Itto-ryu-Richtungen stammen von diesen beiden, unabhängig von der Frage, ob sie Ito-ha (ha = Partei, Gruppe) heißen oder Ono-ha. Die bekannten Ittoryu-Schulen sind z.B. Mizoguchi-ha, Ono-ha, Ito-ha, Kogen-Ittoryu, Tenshin-Ittoryu, Hokushin-Ittoryu und Itto-Shôden-Mutoryu. Es gab bzw. gibt auch viele andere kleinere Gruppierungen.
Dies zeigt, dass die Schwertkünste von Ittosai Ito und Tadaaki Ono im Lauf der Geschichte sehr verschieden interpretiert wurden. Takeda Sokaku hat zwar Onoha-Ittoryu gelernt, wir wissen aber nicht genau, welcher Richtung von Onoha er angehörte. Denn der Lehrer seines Lehrers Toma Shibuya ist in der Forschung noch unbekannt. Man vermutet aber, dass der Stil wohl Nakanishi-ha (eine Untergruppierung des Onoha) war. Auch heute gibt es mehrere Zweige allein innerhalb des Onoha-Ittoryu und sie sind stark im Wandel je nach Interpretation des jeweiligen Soke dieser Schulen.
Wir versuchen gute technische Aspekte dieser Stilrichtungen nicht nur des Onoha Ittoryu sondern des Ittoryu überhaupt aufzunehmen. Gleichzeitig wollen wir der Betonung des Geistes besondere Aufmerksamkeit schenken. In dieser Hinsicht waren Tenshin-Ittoryu und Itto-Shoden-Mutoryu besonders hervorragend, die beide von den Meistern begründet wurden, die im Zen zur Erleuchtung gekommen waren. Vom Begründer des Tenshin-Ittoryu, Muneari Terada (1745 – 1825), heißt es, dass von der Spitze seines Schwertes flammenartiges Ki ausgeströmt sei, so dass junge Spitzenkämpfer ihm gegenüber keinerlei Chance hatten, ihn zu besiegen, obwohl er schon um die sechzig war (damals ein sehr hohes Alter). Interessant ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass er nicht hauptsächlich auf das Jiyu-Geiko (= freier Kampf) sondern auf Kumitachi-Übung Gewicht gelegt hatte.
Mutoryu wiederum wurde vom 11. Soke des Onoha-Ittoryu, Tesshu Yamaoka 1836-1888, gegründet, der die allzu „prachtvolle“ Entwicklung des Onoha Ittoryu kritisiert hat und das „Mu“ (das leere Herz) des Zen in die Ittoryu-Schwertkunst übertragen wollte. (Itto-Shoden heißt „wahre Überlieferung des Ittoryu“) Ein Zeuge berichtet: die Schwertführung von Tesshu am Ende seines Lebens war langsam. Manchmal hat er aber in Richtung Hals eine sanfte Tsuki-Bewegung gemacht. Auf dem Weg nach Hause hatte dieser Zeuge das Gefühl, als ob der Wind durch seinen Hals hindurch weht.
Unser Ziel ist der Aufbau eines eigenen Shinki Toho, das verschiedene Ittoryu-Interpretationen berücksichtigt. Deswegen ist Shinki Toho „Itto-den“ d.h. auf der Überlieferung des Ittoryu basierend. Es kommen auch einige Elemente vor, die uns zusätzlich gut erscheinen.
Insgesamt in Frage kommen die Kamae-Übung, die Odachi-Formen (fast nur die Formen, die von Ittosai Ito selbst her überliefert sind), die Kodachi(= Kurz-schwert)-Formen und die Tanto(= Messer)-Formen. Odachi-Form bedeutet mit dem Langschwert einen Angriff des Langschwerts abwehren. Kodachi-Form heißt mit dem Kurzschwert den Angriff mit dem Langschwert abwehren. Schließlich heißt Tanto-Form, dass man mit dem Messer den Angriff mit dem Langschwert abwehrt. Auf diese Weise reduzieren wir eigene Waffen fortwährend und lernen allmählich und fortschreitend uns ohne Schwert gegen den Angriff mit dem Langschwert, Kurzschwert und Messer zu verteidigen. Sich gegen den Angriff mit den Waffen mit leeren Händen zu verteidigen, kann nicht gelingen, ohne dass man selbst die Waffen beherrscht.
Insgesamt geht es nicht vordergründig um eine hohe Anzahl von Techniken, sondern um die Verdichtung der Seele bzw. des Ki bei der Schwertführung. Man sollte sich daher Zeit lassen, alle Formen zu erlernen. Man darf getrost zehn Jahre Zeit nehmen, nur um die Grund-Odachi-Formen zu lernen.
Stand: 21.10.2017