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Shinkiryu Aiki Budo

Aiki Budo

Im Verlauf langer Praxis des Aikido, Daitoryu Aiki Jujutsu und Kenjutsu sowie durch das Studium der Kampfkünste in der japanischen Geschichte ist mir immer klarer geworden, dass das Prinzip des Aiki (= die Begegnung des Ki: gemeint ist die Kampfkunstart, in der man erst dem Ki des Angreifers begegnet und es dann mit dem eigenen Ki weiterführt und beherrscht) eigentlich für alle japanischen Kampfkünste gilt, und nicht nur für Aikido und für Daitoryu Aiki Jujutsu, die direkt das „Ki“ im Namen tragen. Dies betrifft auch die zentrale Kampfkunst in der japanischen Samurai-Tradition, die Schwertkunst. Im Allgemeinen kann man sogar sagen, dass das Ki als Ur-Lebensenergie eine zentrale Rolle spielt in der fernöstlichen Lebensführung und es in Folge dessen auch in der Kampfkunst verwendet wird. Das Ki wohnt allen inne (= immanent) und übersteigt zugleich alles (= transzendent).

Darüber hinaus kann man feststellen, dass – in der historischen Reihenfolge – sowohl Daitoryu als auch Aikido aus dem Bewegungsprinzip der Schwertführung entwickelt wurden. Sowohl der Hauptvertreter des Daitoryu in der Moderne, Sokaku Takeda (1860-1943) als auch Aikido-Gründer Morihei Ueshiba (1883-1969) haben die Schwertkunst hervorragend beherrscht.

Dazu kommt die Tatsache, dass Daitoryu und Aikido sich sehr gut ergänzen. So etwa betont Daitoryu den intensiv-dichten Ki-Zufluss am Anfang des gegnerischen Angriffs, während das Kennzeichen des Aikido in der fließenden Ki-Führung im Ganzen der technischen Ausübung liegt, und der Höhepunkt des Ki-Zuflusses eher gegen Ende der Technik zu sehen ist. Daitoryu ist günstiger, wenn man in die Enge getrieben wird, während Aikido mit seiner fließenden Bewegung gegen Angriffe mit großen Bewegungen in einem größeren Raum geeigneter ist.

Aus diesen Gründen war es immer mein Ideal, diese drei Kampfkünste (Schwert, Daitoryu und Aikido) mit dem Aiki-Prinzip zu integrieren, wobei der Hauptakzent auf Taijutsu (= Körperkunst, d.h. die Kampfkunst ohne Waffen) gelegt wird. Denn man findet – soweit ich weiß – kaum Lehrer, die sowohl Daitoryu als auch Aikido gleichermaßen praktizieren, während die Kombination von einem der beiden mit der Schwertkunst öfter zu sehen ist. Mein Ideal ist daher die – bisher so noch nicht existierende – Integration der Budoarten mit dem Aiki-Prinzip, also Aiki Budo. Manche Daitoryu-Richtungen werden auch als Aiki Budo bezeichnet. Hier wird aber dieser Begriff in einem allgemeineren Sinne verwendet.
Meine Intention ist nicht eine weitere Zersplitterung der Budoschulen. Im Gegenteil, es geht darum, die bis bislang oft rivalisierenden Grundrichtungen des Aiki-Budo, Daitoryu und Aikido zu integrieren und vereinen. Wenn jemand ein solches Vorhaben zu verwirklichen beginnt, während andere das noch nicht tun, dann ist er natürlich zuerst auf sich allein gestellt. Vielleicht wird er sogar von manchen Vertretern beider Richtungen als „Ketzer“ hingestellt und isoliert. Dazu fällt mir ein Spruch der 68-er Studentenbewegung ein: „Nach der Solidarität suchend, die Isolation nicht fürchten“. Ich bin überzeugt, dass unser neuer Weg viele Freunde/-innen beider Richtungen gewinnen wird, die offenen Herzens sind. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das, was wir vertreten, gut wird. Und hierfür werde ich meine ganze Bemühung einsetzen.

Im Aiki Budo wird ernsthaft nach der Effektivität der Kampfkunst gefragt. Deswegen enthält unser Taijutsu auch Atemi (= Schläge, die aber leichter sind als die des Karate) und Würgetechniken. Aber unsere Zielrichtung liegt nicht darin, Atemi oder Würgetechniken neben Wurf- und Hebeltechniken gleichberechtigt zu verwenden. Vielmehr sollten wir die Wirkkraft des Atemi oder der Würgetechnik, ohne sie wirklich zu verwenden, in größere Ki-Energie zu verwandeln suchen.
M.E. können wir ohne Streben nach Effektivität auch unseren Geist nicht ernsthaft schulen, vorausgesetzt, wir wollen das durch die Kampfkunst tun. Um den Geist zu schulen, müssen wir unsere Kampfkunst vervollkommnen. Letztere muss aber dem ersteren untergeordnet sein. Denn das Streben allein nach der Effektivität ohne Meditation als Mittel der geistigen Schulung führt leicht zu Härte und Verbissenheit. Das eigentliche Ziel der Kampfkunst ist nicht deren Verwendung im Ernstfall, auch wenn das durchaus geschehen kann, sondern die Schulung des Geistes, wie es auch etwa die Shaolin-Mönche beabsichtigt haben.
Zu dieser Schulung gehört auch, dass man den Mut zum Einsatz für Belange der sozialen Gerechtigkeit fördert. Wie oft versagen Menschen in dieser Hinsicht, weil sie keine Zivilcourage besitzen gegenüber den Mächtigen. Das Samuraitum besteht nicht hauptsächlich in der persönlichen Selbstverteidigung. Es geht um die Verteidigung der Gerechtigkeit und des Friedens. Diejenigen, die sich in der Kampfkunst geübt haben, müssen soweit gehen, dass sie bereit sind ihr Leben zu lassen für die oben genannten Werte. Solche geistige Stärke ist zu üben, nicht so sehr, die Waffen oder andere Techniken gegen andere zu verwenden.

 

Shinkiryu Aiki Budo

Unsere Stilrichtung heißt Shinkiryu („Shinki“ = Göttliche Ur-Lebensenergie; „ryu“ = Strömung bzw. Stil). Shinki als Ursprung des Ki ist das oberste Ziel, nach dem wir streben.
Während Morihei Ueshiba den göttlich-religiösen Aspekt des Ki sehr betonte, vermissen wir dieses Bewusstsein bei den heutigen Aiki-Budo-Vertretern weitgehend. M.E. ist Aiki Budo nur eine halbe Sache, wenn man nicht bewusst nach dem Ursprung des Ki fragt. Deswegen betonen wir auch die Meditation als Weg dieser Nachfrage und –folge. Shinki entspricht dem, was im Hinduismus als Shiva dargestellt wird, und im Christentum als Heiliger Geist. Es handelt sich nicht nur eine numinose kosmische Natur-Kraft, sondern um die Größe, die auch Ursprung und Schöpfer des Person-Phänomens in unserer Welt ist. Das ist nicht einfach Person im Sinne einer menschlichen Person. Das ist aber auch nicht weniger als menschliche Person, sondern gewissermaßen Über-Person. Gerade darin liegt die Göttlichkeit des Shinki, dem wir nicht nur eine höhere Kraft sondern gerade die höchste, das Universum umfassende Liebe zuschreiben, wie Morihei Ueshiba getan hat. Es geht um die Einheit mit diesem Shinki.

Die Bemühung um die Einheit mit dem Shinki durchzieht alle Übungen (Techniken, Geschmeidigkeitsübungen, Kata), wird jedoch ausdrücklich durch Meditation gefördert.
Dieses Streben nach dem Shinki betrachten wir zwar als eine edle Zielsetzung, distanzieren uns aber von einer naiven oder gar eingebildeten „Höhenflug“-Haltung. Denn wir wollen der leiblichen, seelischen und geistigen Gebrechlichkeit des Menschen nüchtern Rechnung tragen. Das liebende Shinki begreift die Schwächen und Fehler des Menschen mit ein. Im geistigen Bereich beinhaltet es die Vergebung, die auch beim Kampf gegen die sogenannten „Bösen“ zur Geltung kommen sollte. Unsere Kampfkunst sollte auch die Versöhnung nicht nur mit den anderen, sondern auch mit sich selbst einschließen.

Unsere Übung besteht also, aus Kenjutsu, Daitoryu Aiki Jujutsu, Aikido, Ki-Übung (Qi Gong) und Meditation.

Dies setzt natürlich voraus, dass die Konkurrenz und die Abgrenzung zwischen Daitoryu Aiki Jujutsu und Aikido einerseits und zwischen Vorkriegs-Aikido und Nachkriegs-Aikido andererseits für uns keine Rolle spielen. Sowohl Daitoryu Aiki Jujutsu als auch Vorkriegs-Aikido sind Bestandteile des „Shinkiryu Aiki Budo“, während wir letzten Endes auf eine Ki-erfüllte weiche Bewegung hinzielen.

Text: Michael Daishiro Nakajima, Soke.

 

Wenn wir Shinkiryu Aiki Budo darstellen wollen, sollten wir mit dem allgemeinen Begriff des Budo beginnen.

 

Budo

Budo ist der Oberbegriff für alle japanischen Kampf-Künste. Die Anfänge des Budo liegen in der Samurai-Zeit. Samurai ist die Bezeichnung für die japanischen Ritter, deren Epoche von etwa dem 11. Jhdt. bis ins 19. Jhdt. hinein dauerte. Der Begriff bedeutet wörtlich übersetzt „Diener“. Denn sein Ursprung ist die schützende Truppe des Palastes bzw. der Adeligen. Zunächst hießen die Kampfkünste der Samurai Bujutsu (Bu=Kampf; Jutsu=Kunst oder Technik). Daneben entstand der Begriff Bushido, der so viel wie „der Weg des Samurai“ bedeutet (Bushi = Mann des Kampfs = Samurai; Do = Weg). Der Begriff Budo umfasst diese beiden Begriffe und wurde dominant, nachdem der Samurai-Stand abgeschafft worden war (1868).

In der Samurai-Epoche entwickelte man verschiedene Kampftechniken, mit und ohne Waffen, zu hoher Perfektion – die Samurai mussten ja um ihr Leben kämpfen. Da gute Technik allein aber vor Feinden nicht zu schützen vermag, versuchte man bald, über das nur Technische hinauszugehen und den Geist zu schulen, um so eine Kraft zu entwickeln, die Schwierigkeiten überwand und Gefahr rechtzeitig erkennen ließ.

Vor dem Tod, der in diesen Zeiten etwas ziemlich Alltägliches war, konnte jedoch auch diese Kraft nicht bewahren. Man setzte sich daher direkt mit dem Tod auseinander, und das geschah mit Hilfe des Zen-Buddhismus. Man erkannte, dass derjenige unterliegt, der sein eigenes Leben schützen will, der noch Todesfurcht hat. Selbstüberwindung, ja -verneinung lautete die zentrale Forderung. Der Kämpfer soll sich – in der Terminologie des Zen gesprochen – dem „Mu“ (= Nichts) überlassen.

In dieser Zusammenfassung von technischer Perfektion und geistiger Zucht erreicht Budo seinen Höhepunkt. Budo meint also nicht nur Beherrschung von Kampftechnik, sondern Selbstschulung durch Überwindung des Ich-verhaftet-Seins. Im weiteren Sinne steht dahinter der Gedanke, man könne Vollkommenheit im Kampf nur durch Sich-einfügen in den Rhythmus und die Bewegung der Natur und des Kosmos erlangen. Durch diesen Hintergrund bekommt Budo fast den Charakter einer Weltanschauung – was sich in der Silbe „Do“ ausdrückt, und zwar Weg im Sinne von Schulungsweg, Weg zur Erkenntnis.

Nach dem Niedergang der Samurai-Epoche und mit Einzug der modernen Zeit waren die Budotechniken nicht mehr als Überlebenstechniken nötig. Sie wurden zu Sportarten „entschärft“ – ohne jedoch zunächst ihren geistigen Hintergrund zu verlieren.